von Vanessa Schmidt, Ronja Pabst und Dennis Kurz
im Gespräch mit Lena Mikesch, Eva Müller und Matthias Rohwer
„Antidemokratische Einstellungen und Verhaltensweisen gefährden das friedliche Zusammenleben einer Gesellschaft und erschüttern diese in ihren demokratischen Grundfesten. Den Schulen kommt als Ort gelebter Demokratie sowie als zentrale Sozialisationsinstanz eine besondere Rolle bei der Adressierung dieser gesellschaftlichen Gefährdung zu. Berufliche Schulen werden dabei von politischen Bildungsangeboten bisher aber wenig beachtet. Sie stellen häufig die letzte Bildungsinstitution dar, die noch intentionale Bildungsangebote an Jugendliche und Erwachsene richten kann. In der pädagogischen Arbeit an beruflichen Schulen liegen besondere Herausforderungen, aber auch große Potentiale vor.“ (Philips-Universität Marburg – Institut für Politikwissenschaft, 2022), so sagt es die Website des Modellprojekts „Starke Lehrer – starke Schüler“ und dort setzt das Projekt auch an. Unter der Leitung von Prof. Dr. Susann Gessner wird ein Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte entwickelt, angesetzt und wissenschaftlich begleitet. Im Zentrum steht neben der fachlichen Fortbildung von Lehrkräften zu den Themenfeldern Extremismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien auch die Möglichkeit, von 4 externen Beraterinnen und Beratern unterstützt zu werden. An dem dreijährigen Fortbildungs- und Beratungsprogramm nehmen 18 Lehrkräfte von 6 Berufsschulen aus ganz Hessen und der Umgebung teil.
Um mehr über die Hintergründe, Herausforderungen und Ziele des Projektes zu erfahren, haben wir 3 Lehrkräfte vor Ort an einem der ausgeführten Projekttage interviewt, welche uns einige Fragen beantworten. Wir stellen sie in unserem Blog nach und nach kurz vor.
Besondere Herausforderungen an Beruflichen Schulen
Eva Müller unterrichtet Geschichte und Deutsch an der Werner-von-Siemens-Schule in Wetzlar und betont insbesondere die tägliche Herausforderung, es an Beruflichen Schulen stetig mit wechselnden Schülerinnen und Schülern zu tun zu haben. Der organisatorische Aufwand, um zu klären, wer wann präsent ist, sei enorm. Sie betont auch die große Heterogenität der Schülerinnen und Schülern an den Schulen, die unterschiedliche Altersstufen, Schulformen, Berufsfelder und Wohnorte aufweisen. „Bei uns ist es jetzt konkret so, dass wir eben eine Umfrage planen für unsere Lernenden, um einfach mal zu hören, welche Schwierigkeiten und Problemfelder, bezogen auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, sie eben […] an unserer Schule sehen und das ist ein riesen Aufwand, erst mal zu gucken: Wer ist überhaupt wann da?“
Lena Mikesch von der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Schule in Fritzlar und Homberg/Efze lehrt Holztechnik sowie Politik und Wirtschaft. Sie fügt hinzu, dass manche Konzepte an der einen Schule oder Schulform besser funktionieren als an der anderen. Die Vielfalt der Schulen erfordere kreative Anpassungen, um das Beste aus jedem Ansatz herauszuholen.
Matthias Rohwer, ebenfalls Lehrer an der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Schule, ist zuständig für die Fächer Holztechnik, Evangelische Religion und Politik und Wirtschaft. Er unterstreicht einen besonders spannenden Punkt: die Sensibilisierung der Kolleginnen und Kollegen. Nicht alle seien gleichermaßen über das Thema informiert oder fühlten sich sicher im Umgang mit Vorfällen. Die Verantwortung für die Demokratie muss an die gesamte Lehrerschaft vermittelt werden, um eine gemeinsame und starke Basis für die Bildungsarbeit zu schaffen.
Inspiration und Beweggründe
Die Beweggründe für die Teilnahme der Lehrkräfte und Schulen waren verschieden: Herr Rohwer teilt uns mit, dass es einen konkreten Anlass an seiner Schule gegeben habe, mit dem sich bei dem Projekt beworben wurde und ein sehr großes Interesse am Modellprojekt begründete.
Lena Mikesch gibt an, dass das Thema Extremismus sie bereits in ihrer Studienzeit stetig begleitet habe und sie zuversichtlich ist, mit dem bestehenden Schulteam und der Teilnahme am Projekt Fortschritte erzielen zu können. Auch an ihrer eher ländlich gelegenen Schule seien die Themen, welche im Modellprojekt behandelt werden, von großer Relevanz. „Außerdem ist es so, dass es immer einen Zeitpunkt gibt, an dem sich die Schülerinnen und Schülern noch mal orientieren, was eben in der Berufsschule auch stattfindet. Und auch wir sind ein Ansprechpartner […], wir müssen den Jugendlichen eine Orientierung bieten können. Dafür müssen wir aber gut Bescheid wissen. Dafür machen wir mit und möchten gerne für die Demokratie kämpfen.“
Eva Müller beschreibt, dass sie oft rassistische und antidemokratische Äußerungen von ihren Schülerinnern und Schülern vernommen habe und sich in diesen Situationen oft hilflos fühlt. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sei dann aber herausgekommen, dass es nicht nur ihr so geht. Stattdessen wurde dieses Phänomen von mehreren Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen Klassen und Schulformen beobachtet. „[…] gerade weil wir im LDK […] wirklich ein Problem haben mit Rechtsextremismus. Die Querdenker-Bewegung ist extrem stark, das kam ja in den Jahren noch dazu. […] Wir hoffen einfach, dass wir gestärkt werden durch das Projekt um dem entschlossen entgegenzutreten.“
Die interviewten Lehrkräfte erhoffen sich nun vom Projekt, dass die Schulen ihre Haltungen in den Kollegien ändern, die Kolleginnen und Kollegen bezüglich dieser Themen stärker sensibilisieren und das auch in den gelebten Schulalltag einbringen können. Matthias Rohwer gibt zudem an, dass es für die Lehrkräfte mitunter schwierig sei, neben dem stressigen Schulalltag und dem zu lernenden Fächern an diesem relevanten Thema dranzubleiben. „Das fällt oft hinten drunter. Wir wussten ja vorher, dass das wichtig ist und das ja schon lange. […] Es hat aber nie zu Handlungen oder Konsequenzen geführt. Und durch dieses Projekt sind wir jetzt im Thema und bleiben im Thema, weil wir eben ziemlich viel Zeit dafür zur Verfügung stellen können und weil wir ja auch diese Beratung zusätzlich an der Schule haben.“ An der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Schule wurde eine Stelle für Demokratiebildung geschaffen, welche sich intensiv mit den Themen Rechtsextremismus und demokratiefeindliches Verhalten an der Schule auseinandersetzen kann: „Wenn wir dann zusammensitzen, kommen noch viele andere Ideen und das kann dann zu so einer kontinuierlichen Arbeit an diesem Thema führen und das wäre eben richtig gut.“
Die Anfänge des Projekts
Das Projekt „Starke Lehrer – Starke Schüler“ wurde zu einem früheren Zeitpunkt (2015 bis 2018) bereits in Sachsen, in Kooperation mit dem Sächsischen Ministerium für Kultus durchgeführt und von der Robert Bosch Stiftung initiiert. Hier zeigte sich eine ähnliche Ausgangslage: „Häufig fehlt es den Lehrkräften im Umgang mit solchen Konfliktsituationen an Sicherheit. Berufsschullehrer*innen haben gelernt, ihre Schülerinnen und Schüler auf bestimmte Berufe vorzubereiten. Aktuelles Wissen über rechtsextreme Jugendkultur fehlt jedoch den meisten. Deshalb wollen wir Lehrkräften das entscheidende Rüstzeug an die Hand geben, damit sie ihre wichtige Rolle im Schulalltag besser wahrnehmen können, in ihrer Handlungskompetenz bei der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Einstellungen und Äußerungen gestärkt sind und damit zu einer nachhaltig demokratischen Schulkultur beitragen können.“ (Robert Bosch Stiftung, 2015)
Auch in Niedersachsen sowie in Brandenburg, an der Universität Potsdam, ist dieses Modellprojekt in ähnlicher Ausführung zu finden. Weitere Informationen kann der Projektseite der Projektseite der TU Dresden (Technische Universität Dresden, 2019) entnommen werden.
Umsetzung und Ziel
Das hessische Projekt zielt darauf ab, die teilnehmenden Lehrkräfte der Beruflichen Schulen im Umgang mit antidemokratischen Einstellungen und Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schülern zu stärken, die öfter auftreten, als man im ersten Moment erwarten mag. Dabei eignen sich die Lehrkräfte Wissen über antidemokratische Phänomene an, wie Rechtsextremismus, gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (z. B. Antisemitismus), Sozialisationsprozesse im jungen Erwachsenenalter und digitale Einflüsse. Dieses Wissen wird in praktischen Szenarien mit Unterstützung von Expertinnen und Experten angewandt und reflektiert.
Im folgenden Schritt werden die Pädagoginnen und Pädagogen dazu befähigt, ihre Fähigkeiten in der beratenden Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu vertiefen. Dies befähigt sie, in Situationen, die von Fall zu Fall unterschiedlich sind, effektiv zu agieren. Durch eine reflektierte Betrachtung ihrer eigenen Erfahrungen erhalten sie die Möglichkeit, sich zu kompetenten Beraterinnen und Beratern für ihre Kolleginnen und Kollegen weiterzuentwickeln. Ein Netzwerk aus schulischen und außerschulischen Bildungspartnern wird aufgebaut, um gemeinsam eine umfassende Unterstützungsstruktur für Schulen zu etablieren. Außerdem erhalten Beraterinnen und Beratern, die an Beruflichen Schulen beratend tätig sind, eine Weiterqualifizierung, welche auf die spezielle Rolle von Beruflichen Schulen und die relevanten Phänomene eingeht. (Philipps-Universität Marburg 2022)
Relevanz aus Sicht der interviewten Lehrkräfte
Das Interview fand im Rahmen einer Fortbildung zu Verschwörungstheorien, Fake News und politischer Medienbildung statt. Wir haben die Lehrkräfte gefragt, was sie in der Fortbildung bisher am meisten überraschte:
„Ich kann sagen, was mich im negativen Sinne überrascht hat: Wenn ich eine Verschwörungserzählung gehört habe, dann möchte ich das widerlegen. Und ich habe jetzt einfach gelernt, dass ich mir das sparen kann, weil sachliche Argumente einfach nichts bringen.“ (Eva Müller)
„Mir ist heute nochmal deutlich klargeworden, dass das jetzt nicht nur harmlose Geschichten sind, die da irgendwelche Spinner glauben, die man dann nicht ernst zunehmen braucht. Am Ende führt dieser Glaube an solche Verschwörungsmythen zu Handlungen und eben auch zu Gewalt oder zu Morden an Menschen. Also dass man ganz deutlich diese Verbindung ziehen muss gegenüber Schülerinnen und Schülern und [Lehrkräften]. (Matthias Rohwer)
„Mir wird in diesem Projekt eigentlich klar, dass wir eine Berufsschule sind und ganz viel für unsere Weiterbildung machen und für unsere Wirtschaft machen, aber dass die Allgemeinbildung auch an der Berufsschule noch stärker wieder in den Blick geraten muss. Kritischer Umgang mit Medien, […] Verschwörungstheorien und Wissen aneignen – das sind so viele Punkte, die müssen auch im Jugendalter noch weiter geführt werden […].“ (Lena Mikesch)
An der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Schule führte das Modellprojekt dazu, dass ein Team eingerichtet wurde. Die Vertrauenslehrerin, welche sich um die Schülervertretung kümmere, sei diesem Team beigetreten und habe auch die Schülervertretung einbezogen, so Matthias Rohwer. Eva Müller erzählt uns, dass die Werner-von-Siemens-Schule in Wetzlar ihre Lernenden bezogen auf das Modellprojekt mit einer Umfrage einschließen, um ebenfalls zu erfahren, welche Problemfelder diese an ihrer Schule sehen. Es werde zudem ebenfalls eine Schüler-Vollversammlung geplant.
Wir bedanken uns bei den Interviewgästen für ihre Zeit und die Einblicke in das Modellprojekt.
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Zum Umgang mit antisemitischen Äußerungen in der Schule:
Quellenverzeichnis
Bernstein, J., Diddens, F. (2020, 19. Juni): Umgang mit Antisemitismus in der Schule, [online] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/311629/umgang-mit-antisemitismus-in-der-schule/ [abgerufen am 23.08.2023]
Kampe, Heike (2022, 14. April): Eine Frage der Haltung – Wie reagiert man auf antisemitische Äußerungen im Unterricht oder Rassismus unter Schülern?, [online] https://www.uni-potsdam.de/de/nachrichten/detail/2022-04-14-eine-frage-der-haltung-wie-reagiert-man-auf-antisemitische-aeusserungen-im-unterricht[abgerufen am 23.08.2023]
Oberle, Prof. Dr. Monika (2019, 07. Oktober): Wie politisch darf eine Lehrkraft sein? – Demokratiebildung als Schulauftrag, [online] https://www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de/lehrerbildung/de/newsletter/_documents/wie-politisch-darf-eine-lehrkraft-sein.html [abgerufen am 23.08.2023]
Philipps-Universität Marburg (2022): Starke Lehrer – starke Schüler – Modellprojekt Hessen, [online] https://starkelehrer-starkeschueler.de/das-projekt/ [abgerufen am 23.08.2023]
Robert Bosch Stiftung (2015): Starke Lehrer – starke Schüler, [online] https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/starke-lehrer-starke-schueler/im-detail [abgerufen am 23.08.2023]
Technische Universität Dresden (2019, 26. Dezember): Modellprojekt zur Förderung pädagogischer Handlungskompetenz in der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Überzeugungen an beruflichen Schulen, [online] https://tu-dresden.de/gsw/phil/powi/dpb/forschung/projekte/starke-lehrer-starke-schueler [abgerufen am 23.08.2023)
Wrase, Michael (2020): Wie politisch dürfen Lehrkräfte sein?, [online] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/306955/wie-politisch-duerfen-lehrkraefte-sein/ [abgerufen am 23.08.2023]